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GISSELTSHAUSEN
Der Pestfriedhof von Gisseltshausen
Er erinnert an schlimme Zeiten – Erinnerungen von Josef Wiesmüller
Rottenburg. „Seit über 600 Jahren hegen, pflegen und bewahren die Einwohner von Gisseltshausen dieses Fleckchen Erde,
das kaum zehn Meter breit und zwölf Meter lang ist, aber an unsere geschichtliche Vergangenheit erinnert und uns vor
Augen führt, wie schnell und leicht vergänglich das menschliche Dasein ist. Der Matrikel des Bistums Regensburg,
berichtet über die Entstehung dieser Anlage: „Zur Zeit der Pest wurde um 1350 zwischen Gisseltshausen und Rottenburg
ein eigener Pestfriedhof errichtet.“ Damals wütete in Europa zum ersten Mal die Pest. Von Galeeren aus dem Orient nach
Messina eingeschleppt, verbreitete sie sich schlagartig durch fliehende Sizilianer über ganz Italien und Europa. Zuerst
wurden die großen Städte betroffen, schließlich war keine Stadt, kein Kloster, kein Dorf, keine Einöde und kein Bauernhof
vom schwarzen Tod verschont. Insgesamt schätzt man die Zahl der Toten in Europa in den Pestjahren 1347/52 auf 25 Millionen,
bei einer Gesamtbevölkerung von 100 Millionen Menschen.
In Rottenburg selbst sollen der Sage nach nur mehr vier oder fünf Familien überlebt haben. Der Platz bei Gisseltshausen
wurde deshalb ausgesucht, weil sich zu damaliger Zeit Pfarrkirche, Pfarrhof und Friedhof in Gisseltshausen befanden.
Rottenburg hatte damals auch noch keine Marktrechte, diese erhielt es erst 1378 und ab 1400 nahm der Pfarrer hier seinen
Wohnsitz. Der Begrabungsplatz der Bewohner Rottenburgs blieb bis zum Jahre 1830 der Friedhof in Gisseltshausen. Weitere
Seuchenausbrüche folgten nun fast in jedem Jahrhundert. In einer Rottenburger Urkunde von 1600 heißt es: „Auf eingezogene
Erfahrung ist zu zweimalen der Winkel gegen Herrn Pfarrer Garten auf dem Friedhof zu Gisseltshausen in dergleichen Fällen
(Pest) gebraucht worden, an den selbigen Ort sonst niemand begraben wird.“ Damit erfahren wir eindeutig, dass die Pest
bereits schon wütete und an dem Ort, (Pestfriedhof), sonst niemand begraben wird. Weil die „abscheuliche Infektion“
jederzeit wieder ausbrechen konnte, musste man in den Märkten und Städten entsprechende Vorbereitungen treffen. Es liegt
eine diesbezügliche Verordnung des Marktes aus dem Jahre 1612 vor. In ihr heißt es: 1. Sammelort des Hüters Garten beim
Armenhaus. 2. Träger und zum Tragen verordnet: Piechel Niklas, Schuhmacher, Adam Jäger, Seiler, Stueber Veit und Wolf
Scheiner, beide Tagwerker, Pfifferling Stephan, Zimmermann, Obermair Paulus, Weber. 3. Zutrager und Trägerin des Kranken:
Horneder Georg, Weber und Michael Oberhofer, Schneider, Elisabeth Scheimerin und Hansen Zieglers Hausfrau Veronika. 4.
Wärterin der kranken Personen: Nadler Madl, ihre Schwester Margareth, beide Witwen und derzeit wohnhaft im Armenhaus, dazu
Barbara Härtlin und Hansen Lenthners Witwe. 5. Zum Einmachen der Toten: Horneder Kasper, Weber, Wittmann Hans, Zimmermann,
dann die Veit Hausin und Lailler Michlin. Totengraber: Martin Obermair, Tagwerker. 6. Meist Adam Volinger, Bürger und Bader
allhier ist Inhalt seines Wartgeldes zu dem Aderlassen und anderen notwendigen Heiles der Kranken bestellt.
Zwei Jahrzehnte später brach dann im Verlauf des Schwedeneinfalles in den Jahren 1632/ 34 die furchtbare Seuche erneut aus.
Sie vermehrte zusätzlich Leid, Not und Elend in der Heimat, die durch Kriegshandlungen, Raub, Plünderung und Brandschätzung
sowohl vor den schwedischen wie auch kaiserlichen Truppen verbrochen wurden. Es ist nicht bekannt wie viele Opfer Krieg und
Seuche gefordert haben. Auf alle Fälle waren sie nicht wenig. Der Pestfriedhof in Gisseltshausen nahm sie alle auf. In ihrer
Not gelobten danach die überlebenden Rottenburger einen alljährigen Bittgang zum heiligen Sebastian nach Hebramsdorf. Die
gestiftete große Wachskerze soll die Namen aller Stifter und damit der Überlebenden getragen haben. Der ehemalige Administrator
von Spital Pattendorf, Schinhanl, welcher in Asenkofen gebürtig war, hatte diese Kerze selbst noch gesehen. Pfarrer Singer von
Hebramsdorf verkaufte diese Votivkerze im Jahre 1870 an einen Wachszieher zum Einschmelzen. Wichtig ist aber vor allem, dass
das Gelübde nach wie vor alljährig erfüllt wird.
Von den etwa zwölf Millionen Toten des 30järigen Krieges sollen mehr auf das Konto der Pest gehen als auf das der Schlachten.
Seit 1820 ist die Pest aus Europa verschwunden. Unser Pestfriedhof rückt aber noch einmal ins Licht der Öffentlichkeit. Als
im Jahre 1809 unsere Gegend zum Kampfgebiet zwischen Österreichern auf der einen und Franzosen und Bayern auf der anderen
Seite wird, nimmt die Erde dieses Platzes zwei gefallene Österreicher auf. Es sind dies der Fähnrich Alois Joschka und der
Kapitänleutnant Norbert Krall, beide vom k. u. k. Regiment Hoch- und Deutschmeister Nummer vier. So berichtet eine Gedenktafel.
Die anderen Kämpfer, die in den Gefechten bei Marktstauden und Pattendorf fielen, etwa 600 an der Zahl, fanden ihren Ruheplatz
in Massengräbern im Friedhof bzw. am Ortsrand von Gisseltshausen. Lange Zeit zierten schöne schmiedeeiserne Kreuze diese
Gedenk- und Mahnstätte. Gott sei Dank zogen die Österreicher unter Feldmarschall Wetter, die unseren Hofberg in Rottenburg
sehr stark befestigt hatten, kampflos ab.
Im Zusammenhang mit dem Pestfriedhof dürfte auch das Sebastian-Marterl gestanden haben, das einst an der Distriktstraße,
etwa 300 Meter südlich des Gottesackers, seinen wohlbedachten Platz hatte. Pestsäulen und Marterl wollten die Pest bannen.
Es wäre schon sehr begrüßenswert, wenn in irgendeiner Form ein Ersatz für das Marterl geschaffen würde. Unser Pestfriedhof
zählt zu den wenig noch erhaltenen, die es in Bayern gibt. Der Kirchengemeinde Gisseltshausen kann nicht genug Anerkennung
gezollt werden, dafür, dass sie ihn nicht nur erhält, sondern auch in das religiöse Leben und Brauchtum mit einschließt.“
Bild von 1913
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