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„‘s Christkindl anschießen“
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Lange Zeit war es in Rottenburg der Brauch, am Heiligen Abend das „Christkind anzuschießen“. Dazu ging einer von der Hausgemeinschaft auf die Straße und feuerte einen Schuss ab.
Man schrieb den 24. Dezember 1919. Genau ein Jahr war der Krieg nun zu Ende und wegen der politischen Unruhen im Lande gab es in den Städten und Märkten Bürgerwehren, die aufkommende Unruhen im Keim ersticken und so für Sicherheit sorgen sollten. In Rottenburg hatte diese Aufgabe die Freiwillige Feuerwehr übernommen, die zu diesem Zweck mit leichten Waffen ausgestattet war.
Am besagten Tag war ein wunderschöner Heiligabend angebrochen. Es dämmerte schon und es schneite zur Freude der Kinder. In der schwachen Straßenbeleuchtung sah man die Schneeflocken tanzen. „Jetzt, Xaverl, jetzt is soweit! Geh naus und tuas Christkindl oschiaßn, damit die Kinder wissen, dass boit kimmt!“, so sprach der Jakob Huber, stolzer Hengsthalter, auch „Hubagamme“ genannt, zu seinem Knecht. Der hatte schon lange darauf gewartet und mit dem Schießen kannte er sich als alter Soldat gut aus. „Is scho recht,“ meinte er, nahm seinen Weltkriegskarabiner und ging auf die Straße. Er ging die Neufahrnerstraße, damals sagte jeder nur „Meeresstraße“, ein Stück bergab, bis zum Treffpunkt Marktstraße mit der damaligen Bahnhofstraße, der heutigen Max–von–Müller–Straße, praktisch unterer „Torplatz“. Hier postierte er sich fachgerecht, lud durch, legte an und drückte ab. Gleichzeitig mit dem lauten Knall gingen in allen Häusern die Lichter aus und auch die Straßenlampen. Da lag der ganze Markt im Finstern und der Xaverl stand mitten drin. Neugierig rannten die Leute auf die Straßen.
Was war nur los? Bald hatte man die Ursache für den Stromausfall herausgefunden. Unser Schütze hatte die einzige Freileitung im Ort getroffen und abgeschossen. Aber warum schoss er auch mit einer scharfen Kugel und nicht mit einer Platzpatrone? Nachdem die Ursache bekannt war, holte man schnell Hilfe herbei. „Da muss der Alois her, unser Elektriker vom Elektrizitätswerk. Der kann das wieder richten.“ Der Alois kam auch gut gelaunt. Mit Hilfe von Steigeisen stieg er auf einem Freileitungsmast und flickte die beiden Enden beim schwachen Taschenlampenlicht notdürftig zusammen. Dann stapfte er wieder zurück ins E-Werk und schaltete den Strom ein. „‘s Licht ist wieder da!“ jubelten die Leute.
Die Aufregung legte sich, aber das Christkind hatte den Schuss gehört. Und obwohl das Jesukindl in dieser armen Zeit nur wenig Geschenke bringen konnte, freuten sich alle darüber. Aber am schönsten war, dass es ein Weihnachten in Frieden und somit die zweite Friedensweihnacht war und die meisten Väter und Söhne wieder daheim waren. Man dachte aber auch an das Jahr 1914, wo so viel Kriegsbegeisterung herrschte und man festen Glaubens war, an Weihnachten wären wieder alle daheim.
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