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Ein ganzes Dorf in heller Aufregung
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Mitte Dezember fielen die ersten Schneeflocken auf das Land. Die Menschen bereiteten sich auf das allerschönste Fest im Jahr vor, auf das Weihnachtsfest. Die Fenster wurden weihnachtlich dekoriert und in den heimischen Wohnzimmern die Krippen aufgestellt. Von Weitem sah man schon die leuchtenden Tannenbäume in den Vorgärten von Pattendorf stehen. In vielen Gemeinden wurden traditionsgemäß Christkindlmärkte veranstaltet und Krippenspiele aufgeführt.
Eine besonders schöne Idee hatte 1982 Sebastian Ruhland, Spitalpfarrer in Pattendorf. Er wollte einen großen Christbaum in der Spitalkirche vor dem Altar aufstellen lassen, der bis zur Decke reichte. Alle Kirchenbesucher, vor allem die Spitalbewohner, sollten sich an dem riesigen und beeindruckenden Christbaum erfreuen. Es bedurfte sorgfältigster Vorbereitung, einen so großen Baum in der Spitalkirche aufzustellen und zu schmücken. Das übernahmen freiwillige Männer aus der Dorfgemeinde. Mit großem Eifer und viel Anstrengung wurde der erste Baum im Wald geschlagen und zur Kirche gefahren. Eine weitere Herausforderung war es, den Baum in die Kirche zu tragen und dort vor dem Altar aufzustellen. Und das alles wurde sowohl mit mancher Skepsis als auch mit Begeisterung von den Einheimischen des Ortes verfolgt. Als der riesige Baum endlich stand, wurde er von den Männern von oben bis unten mit viel Liebe zum Detail aufwändig geschmückt.
Dieses Geschehen wurde heimlich von einem Jungen vom Chor aus mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Ludwig hieß der Junge, der 10 Jahre alt und das einzige Kind einer armen Tagelöhnerfamilie war. Er wohnte mit seinen Eltern an der Hauptstraße, gleich gegenüber der Kirche. So konnte er das Ereignis von Anfang bis zum Ende verfolgen. Niemand bemerkte den Jungen. Als der Baum einen Tag vor Heiligabend fertig geschmückt war, baute man links vor dem Altar gemeinsam die Weihnachtskrippe von Sebastian Osterrieder auf. Mit großer Sorgfalt wurden die Hauptdarsteller der Krippe auf ihren Plätzen positioniert. „Ich glaube, dass uns der Christbaum und die Krippe gelungen sind und allen Besuchern gefallen werden,“ sprach ein Helfer mit Begeisterung. „Jetzt ist es aber wirklich genug,“ sagte Pfarrer Ruhland zu allen Mitwirkenden. „Geht nach Hause zum Mittagessen. Wir sehen uns alle am Heiligen Abend wieder. Und nochmals vielen, vielen Dank für eure Hilfe!“ Gemeinsam verließen sie die Kirche, und der Pfarrer schloss hinter sich die Türe.
In der Kirche war es still geworden, nur Ludwig war noch oben im Chor und schaute auf den Christbaum. „Der ist aber schön geworden,“ sprach er laut vor sich hin. Aber sofort legte er seine Hand auf seinen Mund, um nicht doch noch entdeckt zu werden. Nach einigen Minuten - es war immer noch still in der Kirche - ging Ludwig ganz leise die Treppe hinunter an den Bankreihen vorbei, bis er vor dem mächtigen Baum stand. „Oh, so einen Baum möchte ich auch gerne zu Hause haben,“ dachte er sich im Stillen. Dann ging er zur Krippe hinüber und schaute diese mit großen Augen an. Er lachte ganz laut über den Ochsen und den Esel, wie diese gerade Heu fraßen. Weiter links standen in einer Gruppe einige Schafe, die miteinander spielten. Ludwig rief ihnen zu: „Darf ich mit euch spielen?“ Er bekam keine Antwort. Er fragte den Ochs und den Esel: „Wollt ihr mit mir spielen?“ Wiederum bekam er keine Antwort. Darauf sagte er: „Ich will aber mit euch spielen!“ Dann nahm er den Ochs, den Esel und die Schafe aus der Krippe und ging Richtung Treppe. Er wollte schon auf die erste Stufe treten, da ging er noch mal zur Krippe zurück und nahm den Josef auch noch mit. „Dich brauch ich zum Hüten der Schafe, damit sie nicht weglaufen, wenn ich mit Ochs und Esel spiele.“ Maria und das Jesuskind ließ er allein zurück. Erneut lief er schnell die Treppe zum Chor hinauf, um sich dort wieder zu verstecken.
Fünf Minuten später kam Pfarrer Ruhland in die Kirche zurück, um nochmals nach dem Rechten zu sehen. Er schaute sich den schönen Christbaum an und lächelte dabei. Dann ging er zur Krippe, um zu sehen, ob nichts vergessen wurde. Auf einmal schrie er: „Um Gotteswillen! Was ist hier geschehen? Das kann doch nicht wahr sein! Wir wurden bestohlen.“ Sofort benachrichtigte er die Dorfbewohner und bat sie, in die Kirche zu kommen. Keiner konnte es fassen, dass Figuren von der Krippe gestohlen worden waren. Die ganze Kirche wurde überprüft, wo die Diebe hereingekommen sein könnten. Aber alles war fest verschlossen. Dann rief ein Helfer: „Wir müssen uns im Dorf verteilen und an jeder Haustüre klingeln und fragen, ob vielleicht jemand etwas gesehen hat. Vielleicht hat ja auch jemand versucht, die Krippenfiguren an der Haustür billig zu verkaufen?“
Die Helfer liefen in alle Richtungen, läuteten an jeder Haustür, hielten Spaziergänger und Autofahrer auf und erzählten von dem vermeintlichen Diebstahl in der Kirche. Aber keiner konnte ihnen helfen oder einen Hinweis geben. So gingen alle traurig in die Kirche zurück. Keiner konnte dem Pfarrer eine gute Nachricht überbringen. Gemeinsam beteten sie in der Kirche ein Vaterunser und baten den Herrgott um Hilfe. Nach dem Gebet versammelten sie sich nochmals um die Krippe, um zu besprechen, was sie noch tun könnten. Dabei machten sich die Anwesenden vor Pfarrer Ruhland lautstark Luft. „Wie kann das sein, dass jemand einen Tag vor Heiligabend in die Kirche einbricht und Krippenfiguren stiehlt? Und das in unserem Dorf, wo jeder jeden kennt.“ Der Pfarrer beruhigte die Anwesenden und meinte: „Wir müssen jetzt eine Lösung finden. Ohne die fehlenden Figuren können wir die Weihnachtsmesse nicht abhalten.“
Alle wurden still. Da hörte der Pfarrer eine leise Stimme und ein Geklappere. „Hören Sie die Stimme auch?“, sagte der Pfarrer zu den Anwesenden. Er schaute sich in der Kirche um und blickte zum Chor hinauf. „Dort oben ist doch jemand. Hören Sie das auch?“ Alle schauten nach oben. „Ja, da oben ist jemand.“ Da waren sich alle einig. Pfarrer Ruhland ging leise die Treppe bis zum Chor hinauf, damit der vermeintliche Dieb nicht entkommen konnte. Als er die letzte Stufe hinter sich ließ, traute er seinen Augen nicht. „Ludwig, na was machst du denn hier?“, fragte der Pfarrer. (Ludwig hatte Religionsunterricht beim Herrn Pfarrer.) „Ich spiele Schäfer! Schauen Sie Hochwürden! Ich habe viele Schafe und einen Ochsen und einen Esel hab‘ ich auch. Und das ist der Schäfer,“ sagte Ludwig. „Ludwig, das sind ja die Figuren aus unserer Krippe. Warum hast du die genommen?“ fragte der Pfarrer. „Meine Mama hat gestern zu mir gesagt, dass das Christkind dieses Jahr keinen Christbaum und keine Geschenke bringen würde, weil es heuer kein Geld hätte. Und ich hab mir doch solche Tiere so sehr gewünscht,“ antwortete Ludwig. Der Pfarrer strich Ludwig übers Haar und meinte: „Ludwig, wenn wir jetzt die Tiere und den Josef gemeinsam wieder in die Krippe stellen, verspreche ich dir, dass das Christkind dir viele Tiere zum Weihnachtsfest bringt. Was meinst du?“ „Bekomm ich dann wirklich Tiere vom Christkind?“, fragte Ludwig etwas schüchtern. „Ja, ich verspreche es dir! Komm wir gehen jetzt gemeinsam runter und stellen die Tiere und den Josef wieder an ihren Platz.“ Ludwig sammelte die Tiere und den Josef auf und ging mit dem Pfarrer die Treppe hinunter und dann zur Krippe hin. „So, Ludwig, du darfst jetzt die Figuren wieder an ihren Platz stellen und vergiss mir den Josef nicht,“ sagte der Pfarrer und schaute dabei auf die staunenden Helfer. Die fragten sich immer noch ganz verwundert, was geschehen war. Der Pfarrer erzählte allen Helfern die Geschichte des kleinen Ludwigs und warum er die Figuren genommen hatte. Alle zeigten ihre Erleichterung, vor allem darüber, dass die Figuren wieder auf ihrem Platz standen. Dann griffen alle in ihren Geldbeutel und spendeten für Ludwigs Weihnachtsgeschenk. „Jetzt geht aber nach Hause! Es ist alles gut ausgegangen und du, Ludwig, erzähl deinen Eltern, dass das Christkind doch noch kommen wird. Morgen Abend treffen wir uns zur Christmesse.“
Heiligabend schneite es wieder zur Freude der Kinder und Erwachsenen, die gerade zur Messe unterwegs waren. Pfarrer Ruhland bedankte sich, dass das ganze Dorf zur Einweihung des großen und imposanten Christbaums gekommen war. Ludwig saß mit seinen Eltern in der ersten Reihe. Dank der großzügigen Spende der Dorfbewohner konnte das Christkind dieses Jahr den kleinen Ludwig reichlich beschenken.
Zum Schluss sangen alle gemeinsam das Lied, das in den Herzen der Menschen ruht - „Stille Nacht, heilige Nacht“ -und schauten zur Krippe hin.
Seit jener Zeit wird jedes Jahr vor dem Heiligen Abend ein großer Christbaum in der Kirche aufgestellt und, nicht zu vergessen, die Krippe, die ein ganzes Dorf in helle Aufregung versetzt hatte.
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