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Die Weihnachtsbäckerei
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Die süßeste, aber auch die stressigste Zeit des Jahres war für Bäckermeister Anton Albrecht und seine Mitarbeiter wieder angebrochen: die Weihnachtszeit. Viele Butterstollen, Plätzchen und anderes Naschwerk mussten zusätzlich in großen Mengen für die Kundschaft gebacken werden. Dafür hatte er schon Monate zuvor Mehl, Zucker, Hefe, Mandeln, Butter, Rosinen und Marzipan beim Großhändler bestellt. Zwei Wochen, bevor die Adventszeit begann, bekam die Bäckerei einen Teil der bestellten Ware in Säcken geliefert. „Wir haben die Lieferung kontrolliert und in das Lager gebracht. Jetzt geht nur noch das Mehl ab,“ sagte der Bäckergeselle Ralph. „Die Rosenmühle in Landshut hat mir die Lieferung für morgen zugesagt,“ antwortete Bäckermeister Albrecht. Dann ging der Geselle wieder an seinen Arbeitsplatz zurück.
Am nächsten Tag, als das Mehl in einem Silowagen angeliefert wurde, hatten die Mitarbeiter der Bäckerei besonders viel zu tun. Sie mussten für eine große Feier im Bürgersaal zusätzlich 500 Brezen backen, schlichtweg, es hatte keiner Zeit. Zum Glück arbeitete Willi, ein Praktikant in der Backstube. „Willi, hilf dem Fahrer der Mehllieferung beim Verlegen der Schläuche zum Mehlsilo! Traust du dir das zu?“ rief der Bäckermeister. „Ja,“ antwortete Willi. „Sollte er etwas benötigen, gib mir Bescheid und nimm für den Fahrer einen Kaffee und ein paar Brezen mit, denn er hat bestimmt Hunger und Durst. Draußen ist ja so kalt.“ „Ist gut, Herr Albrecht,“ antwortete Willi und ging nach draußen.
Der LKW-Fahrer hat sich bereits auf den Bäckerparkplatz gestellt und begonnen, die Schläuche zum Mehlsilo der Bäckerei zu verlegen. „Du kommst mir gerade recht! Kannst du mir helfen,“ fragte der Fahrer. „Halt die Schläuche zusammen und ich verriegle sie.“ „In Ordnung,“ antwortete Willi. Anschließend ging der Fahrer ins Führerhaus, drehte die Motordrehzahl per Hand hoch und drückte schon das Mehl vom LKW in das Silo der Bäckerei. „So, jetzt habe ich Zeit, den Kaffee und die Brezen zu genießen.“ „Danke, mein Junge. Könntest du bitte den Chef fragen, ob ich heute statt der bestellten Mengen noch zwei Tonnen mehr in das Silo drücken darf? Der Kunde vor ihm hatte nämlich zu viel bestellt.“ „Ist gut! Ich frag den Chef,“ sagte Willi und ging in die Backstube. Dort suchte er Herrn Albrecht, konnte ihn aber nicht finden. Er war etwas ratlos, lief in den Verkaufsraum und fragte Frau Albrecht, wo ihr Mann sei. Sie wusste es auch nicht. „Such nochmal in der Backstube,“ sagte sie. Willi ging genervt in die Backstube, fand aber Herrn Albrecht wieder nicht. Es blieb ihm nichts anderes übrig als den Gesellen zu fragen. „Ralph, kann der Mehlfahrer zwei Tonnen mehr in das Silo pumpen, als Herr Albrecht bestellt hat?“ Der Geselle antwortete etwas verdutzt, denn er war gerade mit der Zubereitung eines neuen Brezenteigs beschäftigt: „Was ist denn los?“ fragte er erschrocken. In der Backstube war es momentan sehr laut. „Der Fahrer möchte gerne noch zwei Tonnen Mehl in das Silo drücken. Geht das in Ordnung?“ „Von mir aus, das zusätzliche Mehl können wir immer gebrauchen,“ antwortete der Geselle und widmete sich wieder seinem Brezenteig.
Willi ging genervt zu dem Fahrer hinaus und erklärte ihm, dass er zwar den Chef nicht gefunden hatte, aber der Geselle meinte, dass es in Ordnung gehe. „Das ist schön, dann kann ich mit dem LKW wieder leer nach Landshut fahren. So, mein Junge, halte den Schlauch gut fest, denn jetzt muss ich den Luftdruck erhöhen, um das ganze Mehl in das Silo reinzubekommen,“ sprach der LKW-Fahrer zu ihm. Nach ein paar Minuten war das ganze Mehl im Silo der Bäckerei. Willi half noch, den Schlauch vom Lkw zum Silo zu zerlegen und zu verstauen, schon drückte ihm der Fahrer den Lieferschein in die Hand. „Den musst Du mir noch unterschreiben, mein Junge. Dann sind wir beide fertig.“
Anschließend ging Willi in die Bäckerei zurück. Im gleichen Moment kam Bäckermeister Anton Albrecht herein. „Na Willi, hat alles geklappt?“ „Ja, Herr Albrecht, das Mehl ist im Silo drin.“ „Danke, den Lieferschein leg mir bitte in Büro. Jetzt kannst du dem Ralph beim Brezendrehen helfen.“
Bevor mit der Weihnachtsbäckerei begonnen wurde, versammelte Bäckermeister Albrecht alle seine Mitarbeiter nochmals in der Backstube, um jedem seinen Aufgabenbereich zuzuteilen. Er selbst übernahm wie jedes Jahr das Christstollenbacken. „Du, Willi bist für den ganzen Nachschub, sprich Zutaten und sauberes Geschirr und Handtücher verantwortlich. Und noch was, Willi! Schleck nicht so viel Teigschüsseln aus, sonst bekommst du noch Bauchweh.“ „Ist in Ordnung, Herr Albrecht, ich werde mich bemühen,“ entgegnete Willi. Dann gingen sie gemeinsam an ihre Arbeit.
Am nächsten Tag stand Bäckermeister Albrecht schon sehr früh in der Backstube, denn er wollte heute 30 Stollen backen und die brauchen ihre Zeit, bis sie fertig sind (das Backrezept kennt er auswendig). Nachdem er alle Zutaten, bis auf das Mehl in die Teigmaschine geschüttet hatte, ging er mit einer großen Schüssel zur Waage, über der ein großes Rohr mit einer Aufschrift Mehlsilo angebracht ist. Er stellte das benötigte Gewicht ein und drückte auf den Knopf. Nach einem kurzen Zischen und Gepolter fiel aus dem Rohr das Mehl heraus in die Schüssel. Das wiederholte der Bäckermeister mehrmals. Auf einmal verstummten das Zischen und Gepolter, es kam kein Mehl mehr. Der Bäckermeister schimpfte: „Gerade jetzt, wo ich so früh in die Backstube gekommen bin, um die Christstollen backen zu können, passiert so etwas!“ Herr Albrecht holte einen großen Holzhammer aus der Kiste und klopfte mehrmals an das Rohr. Aber es passierte nichts, es kam kein Mehl. Mittlerweile kamen seine Mitarbeiter in die Backstube und fragten erstaunt, was passiert sei. Anton Albrecht erzählte ihnen, dass kein Mehl mehr aus dem Silo komme und er heute die Christstollen backen wollte. „Das ist eine Katastrophe,“ sagte er. Die Mitarbeiter rätselten und machten einige Vorschläge, wie man das Problem vielleicht in den Griff kriegen könne, aber keiner wusste weiter. Da kam seine Frau Christa in die Backstube herein und war erstaunt, dass noch keiner arbeitete. „Was ist denn hier los? Noch keine einzige Brezen ist gebacken! Ja und die Backöfen sind auch noch nicht aufgeheizt,“ sagte Frau Albrecht etwas grantig. „Christa,“ sagte ihr Mann, „stell dir vor, es kommt kein Mehl mehr aus dem Silo! Wir können keinen einzigen Christstollen und kein Weihnachtsgebäck mehr backen.“ „Aber wir haben doch erst eine Mehllieferung bekommen!“ sagte sie. „Hast du es schon mit dem Holzhammer probiert? Das haben wir doch schon des Öfteren gehabt,“ erwiderte sie ihm. „Ja, was meinst du, was ich die ganze Zeit getan habe?“ sagte er zu ihr. „Jetzt müssen wir erst Brezen, Semmeln und Brot backen, damit wir den Laden öffnen können. Ralph, du kümmerst dich, dass alles in Ordnung geht. Gott sei Dank ist der Teig dafür schon einen Tag vorher vorbereitet worden. Mein Mann und ich kümmern uns um den Mehlvorrat.“
Der Bäckermeister ging mit seiner Frau Christa ins Büro. „Was meinst du, Anton? Müssen wir uns Sorgen machen, dass wir kein Mehl mehr haben?“ fragte ihn seine Frau Christa ängstlich. „Nein, nein. Wir haben erst eine Mehllieferung bekommen. Da schau her, hier ist der Lieferschein.“ „Ja, du hast recht. Können wir nicht bei unserem Großlieferanten Rosenmehl in Landshut anrufen? Vielleicht können sie uns kurzfristig nochmals Mehl liefern?“ „Ja, das werde ich machen. Ich ruf dort gleich mal an.“ Der Bäckermeister Anton Albrecht griff zu Telefon, wählte gleich die Nummer seines Sachbearbeiters und schilderte ihm die missliche Situation, in der er sich befand. Leider konnte er ihm keine Lieferung mehr vor Weihnachten zusagen, denn sein Vorrat an Mehl war gerade wegen der hohen Nachfrage gesunken und die Mühlen mahlten schon Tag und Nacht.
Verzweifelt legte Anton Albrecht den Höher auf und sagte dann zu seiner Frau: „Christa, es ist alles aus. Wir können den Laden schließen, Rosenmehl kann wegen Überlastung der Mühlen kein Mehl mehr vor Weihnachten liefern. Wir sind ruiniert und blamiert. Wir können uns nicht mehr auf der Straße blicken lassen! Ich weiß mir wirklich keinen Rat mehr.“ Seine Frau überlegte einige Minuten. Anschließend kramte sie im Schreibtisch umher. „Da ist es doch!“ sagte sie. Ein altes Rezept über Butterplätzchen vom früheren Bäckermeister Rudolf Härtl. „Was meinst du, Anton? Wir hängen einfach das Rezept ins Schaufenster und teilen unseren Kunden mit, dass wir dieses Jahr aus technischen Gründen nicht in der Lage sind, Weihnachtsplätzchen und Christstollen zu backen und sie das Rezept, das im Schaufenster hängt, nachbacken dürfen. Sollte jemand nicht backen können, darf er uns sein Mehl vorbeibringen und wir backen ausnahmsweise für ihn die Plätzchen.“ „Also gut, aber ein mulmiges Gefühl hab ich schon dabei. Vor allem bin ich mir nicht sicher, ob uns das die Kunden glauben.“ „Keine Sorge. Ich werde den ganzen Tag im Geschäft bleiben und den Kunden persönlich die Situation erklären,“ antwortete seine Frau. Herr Albrecht war einverstanden: „Dann machen wir das. Ich erkläre unseren Mitarbeitern die Situation und du hängst das Rezept ins Schaufenster, und wenn dich jemand fragt, warum es dieses Jahr kein Weihnachtsgebäck gibt, erkläre ihnen unser Missgeschick und verweise sie auf den Rezeptaushang im Schaufenster.“ „In Ordnung,“ sagte Frau Albrecht.
Der Bäckerladen wurde geöffnet und der Verkauf begann. In den frühen Morgenstunden fiel noch keinem das Fehlen des Weihnachtsgebäcks auf. Frau Albrecht zitterte die ganze Zeit vor Aufregung, wann es dem ersten Kunden auffallen würde. Aber der Verkauf in einem Bäckereigeschäft ist harte Arbeit, deshalb verging die Zeit sehr schnell. Auf einmal kam Willi, der Praktikant, vom Eingang des Bäckerplatzes herein und rief gutgelaunt „Guten Morgen allerseits“ in den Verkaufsraum und in die Backstube hinein. Er bemerke sofort, dass alle in der Bäckerei niedergeschlagen und bedrückt waren. „Was ist los?“, fragte er. Frau Albrecht ging zu Willi hin, nahm ihn an die Seite und erklärt ihm, was geschehen war. Willi erschrak und sagte, „Frau Albrecht, ich habe nichts getan, ich habe gestern Abend nur alles sauber gemacht, wie es mir Herr Albrecht aufgetragen hat. Sie müssen mir das glauben, bitte.“ „Willi, du hast nichts angestellt, wir haben nur kein Mehl mehr, und das ist nicht deine Schuld.“ Willi überlegte, senkte den Kopf und sagte: „Frau Albrecht, aber ich bin vielleicht doch schuld. Der Mehlfahrer hat viel mehr Mehl in das Mehlsilo gepumpt als bestellt wurde.“ Frau Albrecht schaute Willi mit großen Augen an und sagte mit einem bestimmenden Ton: „Sag das noch mal.“ „Der Mehlfahrer hat viel mehr Mehl in das Mehlsilo gepumpt als bestellt wurde.“ Frau Albrecht lief aufgeregt in die Backstube und rief: „Anton, Anton, ich weiß jetzt, wo der Fehler liegt.“ Sofort erzählte sie alles aufgeregt ihrem Mann, der gleich zu Willi ging und ihn fragte: „Stimmt das, Willi?“ „Ja!“ antwortete Willi und hatte dabei den Kopf noch immer gesenkt. „Warum hast du mir das nicht gesagt?“, fragte ihn Herr Albrecht. „Ich hatte es vergessen,“ antwortete Willi. Herr Albrecht drehte sich um und schrie: „Ralph, Ralph, komm sofort her!“ „Ja, Meister,“ sagte Ralph und lief sofort die Treppe hoch. „Öffne die Belüftungsschraube, die auf dem höchsten Punkt des Silos angebracht ist,“ rief ihm Herr Albrecht hinterher.
So schnell er konnte, lief Ralph die Treppe hinauf bis zum Dachboden, wo sich das Belüftungsventil befand. Er öffnete die Schraube und sofort ertönte ein unerträgliches Pfeifen und eine große Staubwolke entwickelte sich. Danach gab es einen riesigen Knall und plötzlich kehrte Stille ein. Nach ein paar Minuten kam Ralph die Treppe herunter und hustete dabei kräftig. Das Ehepaar Albrecht und Willi begannen, gemeinsam zu lachen, als sie den Gesellen sahen. „Bist du in die Mehlkiste gefallen?“ „Nein, Frau Albrecht. Verspotten Sie mich bitte nicht. Beim Aufschrauben des Ventils gab es einen lauten Knall. Dann sah ich auf einmal nichts mehr,“ antwortete Ralph. „Jetzt versteh ich auch, warum auf einmal kein Mehl mehr kam und das Schlagen mit dem Hammer auch nichts mehr genützt hat. Der Fahrer hat das Mehl so fest in das Silo gepresst, dass Mehl über das Belüftungsventil austrat und es verstopfte. Wenn ich also an der Waage Mehl abwog, konnte über das Ventil kein Luftausgleich mehr stattfinden und so kein Mehl mehr nachrutschen,“ sagte Bäcker Albrecht. „Dann haben wir wieder Mehl, Meister?“ fragte Willi vorsichtig und strahlte dabei über das ganze Gesicht. „Ja, ja, wir haben wieder Mehl, mein Junge,“ antwortete Herr Albrecht. Dabei blickte der Bäckermeister lächelnd zu seiner Frau Christa hinüber, gab ihr einen Kuss und rief: „Jetzt sind die ganzen Sorgen vergessen. Christa, du reißt das Plätzchenrezept gleich wieder von der Schaufensterscheibe! Ralph, du fängst sofort mit dem Plätzchenbacken an! Und du, Willi, darfst mir ausnahmsweise beim Stollenbacken helfen.“
Frau Albrecht freute sich mit ihrem Mann, dass alles ein so glückliches Ende gefunden hatte und dass sie auch dieses Weihnachten wieder Weihnachtsgebäck und Stollen backen konnten.
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